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Europa und Demokratische Zivilgesellschaft von Belarus
2023-06-01 Offener Brief an die Regierungschefs der EPC-47
Wir danken den Völkern Europas für ihre Aufmerksamkeit für Probleme Belarus‘, das seit der Erlangung der wahren Unabhängigkeit 1990 und besonders nach dem Staatsstreich 1996, verübt von Aliaksandr Lukashenka und von der Russischen Föderation mit Finanzen, Organisation und Gewalt unterstützt. „Wir sind nicht allein“ - dieser Satz rettete die Menschen in Belarus vom Schrecken der Perspektivlosigkeit. Denn eine meisterhaft aufgebaute Diktatur kommt, um zu bleiben und Aliaksandr Lukashenka ist ohne Zweifel ein Meister in Sachen des persönlichen Machterhalts und Unterdrückung jeglicher zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivität. Wir würden gerne viele Dankesworte an dieser Stelle aussprechen und erwähnen, dass Belarus und das belarussische Volk seit 500 Jahren Teil des europäischen Kultur- und Mentalitätsraums sind, dass die Diktatur uns nicht gebrochen hat und wir siegen werden. Jedoch steht unser Europa vor ernsthafter Bedrohung, wie es seit den beiden Weltkriegen nicht gegeben hat. Wir sind überzeugt, dass heute die Hohen Versammelten nicht mit angenehmen und trivialen diplomatischen Floskeln angesprochen werden sollen. Vielmehr sind Informationen zu übermitteln, die eine präzise Analyse der Lage und korrekte Akzentsetzung ermöglichen.
Die belarussische Frage in der mittelfristigen Perspektive
Die aktuelle Situation weist einige Parallelen mit Ereignissen der 20. Jahrhunderts auf. Es ist aber nicht korrekt, Parallelen zwischen dem bolschewistischen Regime, der Regime von Hitler und Stalin, mit den Handlungen der russischen Führung oder Lukashenakas Regime zu ziehen und daraus Prognosen für die Zukunft machen. Die Analogie ist ein bequemes, aber höchst unverlässliches und unpräzises Instrument für geistige Schlussfolgerungen. Gewiss ist aber, dass Lukashenka und in weiterer Folge Putin, bei der strategischen Planung ihrer Handlungen, Ähnlichkeiten in den geschichtlichen Ereignissen suchen, die Schritte sämtlicher Akteure akribisch analysieren und erfassen, welche Fehler in Zukunft zu vermeiden sind. Auf Grund des Beweisumfangs dieser These erlauben wir uns, diese nicht weiter auszuführen und fokussieren uns auf die Analyse der jetzigen Lage.
Aus unseren Ausführungen ergibt sich daher folgendes:
- Aus den wörtlichen Aussagen Putins ist bekannt, dass die Russische Föderation eine „neue internationale Ordnung“ erschaffen und zumindest in Europa dominieren will. Der Erfolg Russlands bedeutet gewaltvoller und blutiger Untergang Europas.
- Die militärische Niederlage Russlands durch die Ukraine bedeutet für Russland das gleiche, wie einst das Wunder an der Weichsel für Sowjetrussland war. Nämlich, dass der Feldzug gegen Westen gestoppt wird.
- Unzweifelhaft ist, dass die Russische Föderation, wie es auch die bolschewistische und stalinistische UdSSR pflog, sich auf eine Revanche vorbereiten wird.
- Bei der Vorbereitung auf die Revanche wird Russland Taktik und Strategie der UdSSR der 30er-Jahre verwenden. Das mit der Berücksichtigung damaliger Fehler.
- Wegen unzähliger Kriegsverbrechen und Verstößen gegen das Völkerrecht und internationale Gepflogenheiten, wird Russland während der Vorbereitung auf die Revanche isoliert sein. Es wird eine Unterstützung einer befreundeten Diktatur brauchen, die weniger fürchterlich aussieht als das Moskauer Regime. Einer Diktatur, mit der zumindest irgendeiner spricht. Der einzige Kandidat auf diese Rolle ist das Regime Lukashenka, genauer gesagt, dass Regime eines Kartells, das Lukashenka anführt.
Daraus folgt, dass es von den Handlungen der Mitglieder der EPC in der belarussischen Frage abhängt, wie stark und lange der Frieden sein wird, für den das ukrainische Volk für Europa blutig kämpft und wie erfolgreich die Revanche Moskaus sein wird.
Das Problem der Qualität von Informationsquellen
Belarus und das Volk Belarus‘, sowie Prozesse, die sich im Land ereignen, waren dem breiten Publikum lange Zeit wenig bekannt. Das Paradoxon, wenn ein Land und sein Volk aktiv an den Ereignissen der europäischen Geschichte beteiligt sind und dabei Terra Incognita bleiben, entstand auf Grund mehrerer historischer und politischer Faktoren. Diese Leere bleibt nicht lange unberührt. Das Informationsvakuum rund um Belarus wird prompt durch „Experten“ gefüllt die weder Wissen noch Verständnis für die im Land ablaufenden Prozesse haben, um aus Fakten Wissen zu generieren. Bestenfalls irren sie sich gutgläubig, meistens manipulieren sie die Informationen für ihre Ziele. Erschwerend kommt noch folgendes hinzu:
- Politische „Geschäftemacher“, die gerne das sagen, was ihre potenziellen Förderer hören möchten.
- Die Aktivität der belarussischen und russischen Nachrichtendienste, die keine Müh und Mittel scheuen, um eine für sie günstige Wahrnehmung der Dinge in der Öffentlichkeit zu Erwirken.
- Professionelle, oft mit Fördermitteln bezahlte PR ohne Substanz, die als eine konstruktive Tätigkeit ausgegeben wird.
Aus diesen Faktoren kann schon die unüberschaubare Größe der Informationsblase erahnt werden, in der sich Entscheidungsträger, die sich mit der strategischen Planung zu Belarus beschäftigen, befinden. Die Stimmen einiger weniger tatsächlicher Kenner der Situation werden ignoriert. Mit schweren Folgen. Herr Hans-Georg Wieck hat dies 2006 in seinem Artikel „Demokratieförderung in der Sackgasse. Europa versagt in Belarus“, genauestens beschreiben. Die damals begangenen Fehler führten zur Stärkung der Lukashenka-Putin und einer Stabilisierung beider Regime und in weiterer Folge zum Krieg. Diese Fehler zu wiederholen wäre leichtsinnig.
Lösung
Die einzige und sinnvoll durchführbare Lösung des Problems der Informiertheit zum Thema Belarus, ist die Aufbau vollwertiger Kontakte zwischen den nationalen Regierungen und EU-Organisationen mit belarussischen zivillgesellschaftlichen Organisationen aus der Diaspora und ihre Einbindung in Entscheidungsprozesse. Belarussen, die in Europa leben sind stark an der Befreiung Belarus‘ interessiert. Das als Bewohner oder Staatsbürger europäischer Staaten und als Menschen, denen das Schicksal ihres Herkunftslandes nicht gleichgültig ist.
Man kann sich sicher sein - die belarussische Zivilgesellschaft ist zur konstruktiven Zusammenarbeit bereit. Das im Gegensatz zu Regierungsmitglieder Lukashenkas oder Putins, sowie mit deren Interessensgruppen assoziierte Organisationen und Personen, die nicht als verlässliche Informationsquellen taugen. Sie sind Feinde Europas und Kontakte mit Ihnen sollen dementsprechend ausgestaltet sein.
Wir möchten verdeutlichen, dass belarussische Organisationen in Europa, formelle und informelle, mannigfaltige Weltanschauungen vertreten und ein breites, vollwertiges politisches Spektrum darstellen. Sie handeln auf Grund des ihnen natürlich zustehenden Rechts auf Widerstand und bedürfen keiner positiven Legitimation. Ein „einheitliches Zentrum der Koordinierung und Leitung“ des belarussischen Widerstandes existiert daher schlicht nicht. Das folgt aus der Tatsache, dass der belarussische Widerstand mit Lukashenka einen sehr starken Feind hat, dem viele Mittel und ein perfekt organisierter Apparat der Aufklärung und Unterdrückung zu Verfügung stehen. Ein Widerstand gegen einen solchen Feind kann nur eine weit verteilte, lose und netzartige Struktur schaffen. Jeder zentral organisierte politische Apparat ist unter diesen Bedingungen nicht überlebensfähig.
Wenn jemand behauptet, alle Belarussen, die Diaspora oder große Teile davon unter sich zu vereinigen, so sollen die Worte dieses Menschen als große Übertreibung wahrgenommen werden. Die Belarussen präferieren horizontale Verbindungen und sind misstrauisch gegenüber Anführern jeglicher Art. Belarussen sind Individualisten und respektieren Positionen anderer und erwarten das im Gegenzug für ihre eigenen Positionen. Mit einem Führerkult ist das nicht vereinbar.
Fazit
Es ist an der Zeit, den Prozess der Integration des belarussischen Volkes in Europa zu beginnen, denn die Zukunft Europas wird heute nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Belarus entschieden. Der Einschluss der Vertreter der belarussischen demokratischen Zivilgesellschaft in die EPC würde z.B. ein wichtiger und zeitgemäßer Schritt sein. Wir sind davon überzeugt, dass mit gemeinsamen Anstrengungen der Völker Europas der Kontinent von den letzten Tyrannen befreit wird. Europa verdient Frieden, Freiheit und Prosperität. So soll es sein!
Es lebe Europa! Slava Ukraini! Žyvie Belarus!